Die Cyberagentur des Bundes hat ihr Schwerpunkt-Programm zu „Sicherer neuronaler Mensch-Maschine-Interaktion“ gestartet. In einem ersten Wettbewerb sucht die Agentur Konzepte, wie Cybersicherheit und Integrität des Gehirns bei Gehirn-Computer-Schnittstellen (oder auch Brain-Computer-Interfaces, kurz BCI) sichergestellt werden können. Ziel ist es, eine ganzheitliche Architektur (Framework) zu erarbeiten, die insbesondere technische Standards für die Gehirn-Privatheit in der Neurotechnologie setzen – und Forschenden Hilfestellungen für die Anforderungen in der Cybersicherheit bei Gehirn-Computer-Schnittstellen geben soll.
Die Ausschreibung ist ein erster Baustein eines mehrstufigen Programms, in dem die Cyberagentur verschiedene Forschungsaufträge zu sicherer neuronaler Mensch-Maschine-Interaktion vergeben will. Das ganzheitliche Framework dient als Fundament für die weitere Arbeit in diesem Themenfeld, die auf den dort definierten Anforderungen und Standards aufbauen soll.
Die Gehirn-Computer-Schnittstelle ist eine Technologie, deren Entwicklung seit Jahrzehnten vor allem im klinischen Bereich vorangetrieben wurde. Klassische Beispiele für den Einsatz sind Patienten, die wegen Lähmungen und Krankheiten nicht mehr sprechen können, und durch Maschinen, die ihre Hirnströme auslesen und interpretieren, wieder (schriftlich) mit ihrer Umwelt kommunizieren können („Locked-In-Syndrom“).
Doch es wird schon längst an weiteren Anwendungen geforscht, die auch völlig gesunde Menschen künftig nutzen könnten, um ihre Sinne zu erweitern oder per Gedanken zu kommunizieren – mit Maschinen, um diese zu steuern und zu koordinieren – oder mit anderen Menschen, die ebenfalls über Gehirn-Computer-Schnittstellen verfügen. Dabei können über die Schnittstellen im oder am Schädel Hirnsignale gemessen, ausgelesen und interpretiert werden. Eine Vielzahl solcher sensiblen Hirndaten kann aufbereitet werden, um damit Maschinelles Lernen zu trainieren.
Doch wie lassen sich diese Neurodaten sichern? Wer sollte sie nutzen und zum KI-Training einsetzen dürfen? Wie kann garantiert werden, dass die gemessenen Hirndaten nur für den Zweck eingesetzt werden, für den das Brain-Computer-Interface vorgesehen ist – und keine weiteren Daten im Hintergrund ausgelesen werden? Und wie ist es möglich, dass jene, die Gehirn-Computer-Schnittstellen anwenden, die Kontrolle darüber behalten?
„Wir haben jetzt die Chance, gemeinsam als Gesellschaft darüber nachzudenken, welche Regeln wir für die Nutzung von Gehirn-Computer-Schnittstellen festlegen, welche Möglichkeiten wir nutzen und welche wir beschränken wollen – damit die Privatsphäre des Gehirns geschützt bleibt. Das ist eine Chance, die wir ergreifen sollten.“
Themenverantwortlicher für Mensch-Maschine-Interaktion der Cyberagentur, Dr. Simon Vogt
Die erste Stufe im Cyberagentur-Programm „Sichere neuronale Mensch-Maschine-Interaktion“ soll einen Baustein zur Bewältigung diese Fragestellungen liefern. Die Ergebnisse sollen der wissenschaftlichen Community zur Verfügung gestellt, mit ihr diskutiert und anschließend weiterentwickelt werden. Die Standards sollen den Einsatz von Gehirn-Computer-Schnittstellen sicherer machen, ihre Nutzung aber nicht verhindern, sondern im Gegenteil die weitere Forschung begleiten und mögliche Vorbehalte gegen die technischen Möglichkeiten abbauen.
Auch, wenn es teilweise wie Science Fiction klingt, kann die Technologie schneller zum Durchbruch kommen, als wir heute vielleicht ahnen: In der Erforschung von Gehirn-Computer-Schnittstellen konvergieren die exponentiellen Fortschritte aus den Bereichen Informatik (insbesondere bei KI und Machine Learning), Nanotechnologie, Medizin und Neurobiologie.
Hintergrund zum Wettbewerb:
Was: Die Konzepte für ein Framework sollen mehrere Fragestellungen erfüllen: Es geht zunächst darum, „Brain Privacy“ ganzheitlich zu definieren: Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit die Persönlichkeitsrechte sowie Datensicherheit und Datenintegrität der Nutzer von Gehirn-Computer-Schnittstellen gewahrt bleiben? Wie lässt sich eine dafür nötige umfassende Sicherheitsarchitektur präzise beschreiben und in die in Deutschland bereits bestehenden regulatorischen, ethischen und sicherheitstechnologischen Anforderungen einbetten?
Wer: Die Fragestellung betrifft verschiedene Forschungs- und Wissenschaftszweige, die für die Erarbeitung des Regelungsrahmens als interdisziplinäres Team zusammenarbeiten sollen. Interessant erscheinen vor allem die Perspektiven der Informatik, der Neurologie, der Ethik sowie der Geistes- und Sozialwissenschaften. Der Aufruf richtet sich sowohl an Universitäten und Hochschulen als auch an außeruniversitäre Forschungseinrichtungen.
Wie: Ziel ist es, die Frage strukturiert zu beantworten, welche Regeln beim Einsatz von Gehirn-Computer-Schnittstellen gelten sollen, welche technischen Mechanismen und Bausteine genutzt werden müssen und wie sie sich in konkreten Szenarien anwenden lassen. Dabei sollen bestehende Erkenntnisse und Konzepte zusammengetragen und auf die Technologie angewendet werden. Die Ergebnisse sollen nach wissenschaftlichen Maßstäben publizierbar sein und auch gemeinsam mit der Cyberagentur publiziert werden.
Wann: Die Ausschreibung für den Teilnahmewettbewerb ist am 1. Oktober gestartet und läuft vier Wochen lang. Danach werden die Konzepte gesichtet und ein Framework ausgewählt. Der Preis für das Konzept ist Teil der Ausschreibung und muss von den Teilnehmenden kalkuliert werden.
Hintergrund zur Cyberagentur:
Die Agentur für Innovation in der Cybersicherheit, kurz Cyberagentur, wurde im Sommer 2020 in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet. Einzige Gesellschafterin ist die Bundesrepublik Deutschland, gemeinsam vertreten durch das Bundesinnenministerium und das Bundesverteidigungsministerium. Sie versteht sich als treibende Kraft einer offenen Innovations- und Wagniskultur sowie für ein lebendiges Ökosystem zur Förderung von Cybersicherheitstechnologien. Die Cyberagentur will Forschung sowie bahnbrechende Innovationen im Bereich der Cybersicherheit und diesbezüglicher Schlüsseltechnologien im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit vorantreiben. Mit diesem Auftrag leistet sie einen Beitrag zur technologischen Souveränität Deutschlands im Cyber- und Informationsraum. Die Cyberagentur forscht nicht selbst. Aktuell arbeiten rund 20 Beschäftigte bei der Cyberagentur, mit einem Ausbauziel von etwa 100 Beschäftigten. Ihr Sitz ist in Halle (Saale).