Sichere Gesellschaft

Der Tag des Gehirns: Wir können wir verstecke Potenziale nutzbar machen?

Am Tag des Gehirns räumt die Cyberagentur mit dem Mythos auf, dass wir nur 10 % unseres Gehirns nutzen – tatsächlich ist unser Gehirn rund um die Uhr aktiv. Die Abbildung visualisiert die komplexe neuronale Aktivität, die selbst in Ruhephasen nicht stillsteht.
Am Tag des Gehirns räumt die Cyberagentur mit dem Mythos auf, dass wir nur 10 % unseres Gehirns nutzen – tatsächlich ist unser Gehirn rund um die Uhr aktiv. Die Abbildung visualisiert die komplexe neuronale Aktivität, die selbst in Ruhephasen nicht stillsteht. Foto: freepik/Cyberagentur

Das Gehirn ist das vielleicht wichtigste und gleichzeitig kurioseste Organ des menschlichen Organismus: Auf der einen Seite ist es die neuronale Schaltzentrale, über die Wahrnehmungen und Empfindungen in Gedanken und Erinnerungen zusammengeführt und in konkrete Handlungen und Bewegungen umgesetzt werden. Auf der anderen Seite können wir das Gehirn nur verstehen, indem wir die Fähigkeiten des Gehirns selbst dazu benutzen, um es zu untersuchen. Das Gehirn ist also das einzige Organ, das sich selbst betrachten kann.

Doch bei dem Versuch, das Gehirn und all seine komplexen Vorgänge und neuronalen Verschaltungen zu verstehen, gibt es zahlreiche Mythen, die sich durch das Alltagsverständnis ziehen und damit auch den Umgang mit uns selbst prägen. Wir möchten den heutigen Welttag des Gehirns nutzen, um einem der gängigsten Mythen auf den Grund zu gehen und zu zeigen, wie das versteckte Potenzial neuronaler Aktivitäten wirklich genutzt werden kann.

Mythos: Wir nutzen nur 10% unseres Gehirns

Das Gehirn ist zu erstaunlichen Leistungen fähig. Doch manchmal sind wir unkonzentriert oder gehen einer Tätigkeiten nach, die nicht intellektuell anspruchsvoll ist. Viele Menschen kennen das nach dem Aufstehen: Der Griff zur Kaffeetasse ist habitualisiert, der Blick aus dem Küchenfenster vor Müdigkeit vielleicht noch starr und träge. Liegt es da nicht nahe, davon auszugehen, dass wir in solchen Situationen nur einen kleinen Teil unseres Gehirns nutzen?

Entsprechend dieser Überlegung findet man bei vielen Coaching-Angeboten, Selbsthilfebüchern oder LinkedIn-Posts, die Tipps zur Effizienzsteigerung im Job geben, die Aussage, dass Menschen durchschnittlich nur 10% ihres Gehirns nutzen. 90% bleiben damit ungenutzt und liegen als verlorenes Potenzial brach. Es liegt also an einem selbst, diese 90% zu aktivieren und sein wahres Potenzial zu erschließen. Aus Ratgebersicht soll diese Aussage motivieren und Menschen zum Handeln antreiben. Doch sie beruht nicht auf Fakten und ist schlichtweg falsch.

Tatsächlich benutzen wir nämlich immer unser gesamtes Gehirn. Auch in ruhigen Phasen – dem Kaffee am Morgen, einem Spaziergang im Park, einem Nickerchen auf der Couch – ist unser Gehirn zu 100% aktiv. Je nach Aktivität können allerdings unterschiedliche Areale im Gehirn stärker durchblutet und damit mehr beansprucht werden – bspw. der Hippocampus bei der Bildung und Speicherung von Erinnerungen oder der Motorcortex bei der Steuerung und Ausführung willkürlicher Bewegungen. Eine solche Mehrbeanspruchung schlägt sich dann in bildgebenden Verfahren wie der Magnetresonanztomographie (MRT) wider. Doch auch hier gilt, dass diese Hirnareale nie isoliert agieren, sondern nur im komplexen Zusammenschluss mit anderen Teilen im Gehirn. Hinzu kommt, dass wir ständig – auch bei vermeintlicher Ruhe – zahlreiche kleine körperliche Bewegungen durchführen und unwillkürlich von Gedanken, Erinnerungen oder Emotionen durchströmt sind. Das Gehirn steht also nicht einfach still oder bleibt in einer dieser Phasen ungenutzt.

Dass das Gehirn immer aktiv ist, bedeutet aber nicht, dass wir uns auch immer sämtlicher Vorgänge im Gehirn bewusst sind. Ganz im Gegenteil: Wir können uns bspw. subjektiv fit und belastbar fühlen, obwohl unsere Aufmerksamkeit und Aufnahmefähigkeit durch wenig Schlaf bereits spürbar abgenommen haben.

Solche und ähnliche Zusammenhänge zwischen der subjektiven Empfindung und den objektiv messbaren Daten lassen sich nutzen, um Menschen bei ihren Handlungen zu unterstützen. Nach diesem Grundprinzip forscht Zander Labs aktuell an dem von der Cyberagentur mit 30 Millionen Euro finanziertem Forschungsprojekt „Neuroadaptivität für Autonome Systeme“ (NAFAS). Ziel ist die Entwicklung eines nicht-invasiven, neurotechnologischen Prototyps, bei dem die mentalen Zustände der Nutzer durch eine Maschine verstanden und interpretiert werden. Wird man bei der Arbeit also unaufmerksam oder müde, könnte einen die Maschine darüber informieren und nahelegen, eine kleine Pause einzulegen.

Statt also das Gehirn mit Blick auf den Selbstoptimierungsmythos von 10% auf 100% Auslastung zu treiben, liegt das eigentliche Potenzial neuronaler Aktivitäten im Sichtbarmachen der Vorgänge, die uns bei der Ausführung von Handlungen nicht immer bewusst sind. Dieses Potenzial sehen wir als Cyberagentur und versuchen es gemeinsam mit Zander Labs zu erschließen.

Autor: Dr. Andreas Schönau

Weitere Informationen:

https://www.cyberagentur.de/programme/bci/

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